Die Kinderklinik in der Oststraße
Die Universitätskinderklinik Leipzig war die einzige Universitätskinderklinik, die sich direkt am Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten beteiligt hat. Spätestens seit 1941 wird in der sogenannten „Kinderfachabteilung“ systematisch getötet. Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung sind über die „Kinderfachabteilung“ der Universitätskinderklinik keine Dokumente erhalten geblieben. Nachgewiesen sind allerdings Sonderzuwendungen des „Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ an das Personal der Universitätskinderklinik.
An der Universitätskinderklinik wird mit 900 Reichsmark die höchste Sonderzuwendung im gesamten Reichsgebiet ausgezahlt. 1941/42 gehen die „Tötungsprämien“ an: Dr. Klemm, Ursula Heintze, Oberschwester Hanna Stumpf, Oberschwester Isolde Heinzel, Schwester Hertha Bässler, Schwester Irmgard Mädler, Schwester Elfriede Kreissel und Schwester Ursula Lenke. Außerdem erhalten die Oberschwestern Mädler und Heinzel eine monatliche „Entschädigung“ von 25 bis 35 Reichsmark. Das Gehalt einer Schwester beträgt zu dieser Zeit rund 150 Reichsmark im Monat.
In seiner Korrespondenz mit dem Reichsausschuss weist Catel unter dem Betreff „Sonderzuwendung zum Jahresabschluß“ auf die vorbildliche Arbeit seiner Mannschaft hin. Am 23. November 1943 schlägt er Mitarbeiter für weihnachtliche Sonderzahlungen vor: „… möchte ich die beiden Stationsschwestern benennen, in deren Hand, wie schon in den früheren Jahren, die Durchführung der Euthanasie liegt. Sie erhalten zwar vom Reichsausschuß schon eine monatliche Entschädigung, doch glaube ich, die beiden Schwestern (Oberschwester Irmgard Mädler und Oberschwester Isolde Heinzel) trotzdem in Vorschlag bringen zu können… Heil Hitler! (Unterschrift) Catel“
Nach 1945 hat keiner seiner Mitarbeiter gegen den Chef der Universitätskinderklinik, Professor Werner Catel, ausgesagt. (Christoph Buhl, Von der Eugenik zur Euthanasie. Eine Spurensuche in Leipzig, Diplomarbeit am Fachbereich Sozialwesen der HTWK, Leipzig 2001.)
1942 finden an der Universitätskinderklinik Leipzig „Schulungen“ für Ärzte anderer „Kinderfachabteilungen“ statt, um Diagnostik und Tötungsverfahren zu üben. Darunter auch Dr. Hildegard Wesse, später Leiterin der Kinderfachabteilung Uchtspringe, die beobachtete: „… hier scheinen ja alle Ärzte von dem Reichsausschussverfahren zu wissen. Es imponierte mir, daß das Verfahren hier so offen genannt wurde.“ (Ebd.)
Ab 1943 stimmen die drei Gutachter, die im Reichsausschuss über Leben und Tod der behinderten Kinder entscheiden, ihre Forschungsgebiete ab – und weisen sich die geeigneten Kinder als Forschungsobjekte zu: Professor Catel missbrauchte Euthanasie-Opfer an der Universitätskinderklinik unter anderem für Hirnforschung, Erforschung der Kinderlähmung und Hormondrüseneinpflanzungen bei mongoloiden Säuglingen und Kleinkindern.
Beim Luftangriff am 4. Dezember 1943 wird auch die Kinderklinik getroffen. 1944 werden in Klinga und Westewitz/Hochweitzschen Außenstellen eingerichtet. Catel: „Es ist für uns alle selbstverständlich, auch im kommenden Jahr im alten Geiste weiterzuarbeiten… Heil Hitler!“ (Christoph Buhl, Von der Eugenik zur Euthanasie. Eine Spurensuche in Leipzig, Diplomarbeit am Fachbereich Sozialwesen der HTWK, Leipzig 2001.)
Im März 1945 lässt Catel alle Unterlagen vernichten. Es heißt, dass der Oberarzt der Kinderklinik, Dr. Hans Christoph Hempel, Akten und Röntgenfilme der Kinderklinik in der Heizung der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Leipzig-Dösen „tagelang“ verbrannt habe. Er wurde von einer Schwester beobachtet.